Konzept
FROM HERE TO ETERNITY (THAT’S WHERE SHE TAKES ME) - Without an eternity, without a sensitive, secret mirror of what passes through every soul, universal history is lost time, and along with it our personal history - which rather uncomfortably makes ghosts of us.[1]
Jorge Luis Borges, A History of Eternity, 1936
Die Ewigkeit ist das Modell und das Urbild von Zeit wie es der Meister der Labyrinthe und Spiegel, der argentinische Autor Jorge Luis Borges, beschreibt. Sie ist ein Spiel oder eine verlorene Hoffnung, argumentiert der Autor in seinem essayistischen Werk Eine Geschichte der Ewigkeit. Er dekonstruiert Platons Konzept der Zeit als ein bewegtes Bild der Ewigkeit und beschreibt sie nach Plotins Verständnis als eine Welt universeller Formen. Für Borges ist die Nostalgie eine Form von anonymer Ewigkeit: "The exile who with melting heart remembers his expectations of happiness sees them sub specie aeternitatis (under the aspect of eternity), completely forgetting that the achievement of one of them would exclude or postpone all the others. In passion, memory inclines towards the intemporal. We gather up all the delights of at given past in a single image; the diversely red sunsets I watch every evening will in memory be a single sunset. The same is true of foresight: nothing prevents the most incompatible hopes from peacefully coexisting. To put it different- ly: eternity is the yle of desire. (The particula enjoyment that enumeration yields may plausi- bly reside in its insinuation of the eternal - the immediata et lucida fruitio rerum infinitarum.)". Der Ort des Verlangens, oder genauer, die Zu grichtung der Narrative von Verlangen, ist nach Susan Stewart, Autorin von On Longing, immer eine Zukunftsvergangenheit, eine Verschiebung von Erfahrung in die Richtung des Ursprungs, also der Endzeit, der Punkt an dem Narrative beginnt/endet, wo die Beziehung zwischen Ma terialität und Bedeutung hervorgebracht und transzendiert wird.
Andererseits, betonen metaphysische Denker die Kontinuität von Erfahrung und das Konzept der Zukunft als Simultanität aller drei Zeitfor men: Vergangenheit, Präsens und Zukunft. "The past is present in its present, and the future as well. Nothing comes to pass in this world, but all things endure forever, steadfast in the hap piness of their condition", erklärt Borges und bezieht sich auf die Formel des Heiligen Augu stinus, bei dem die Elemente von Vergangenheit und Zukunft in jedem Moment der Gegenwart existieren .Um diesen Fall zu illustrieren, zieht er den Vergleich mit dem Rezitieren eines Gedichtes, eine Metapher der intimen Ver knüpfungen der Zeitformen: "Before beginning, the poem exists in my expectation; when I have just finished, in my memory; but as I am reciting it, it is extended in my memory, on account of what I have already said; and in my expectation, on account of what I have yet to say. What takes place with the entirety of the poem takes place also in each verse and each syllable. This also holds true of the larger action of which the poem is part, and of the individual destiny of a man, which is composed of a series of actions, and of humanity, which is a series of individual de stinies"
Insoferm wird die Ewigkeit Kind der Men schhen geboren als Sequenz von Momenten und einer Reihenfolge von Begebenheiten in der Erinnerung und Geschichte, wo das Universel le und das Private zusammentreffen und eine gemeinsame Sprache formen: von Platon und Plotin, über die metaphysischen Denker und den Heiligen Augustinus bis zu Jorge Luis Borges and Giorgio Moroder. Die Ewigkeit, die sich uns als post-utopisches Feld einer bedingung slosen Identität darlegt.
FROM HERE TO ETERNITY (wo sie mich hinführt)
Die 5.Ausgabe der Biennale Gherdeina, de ren Künstler eine Narrative der Sehnsucht in Szene setzen, ist in Gröden situiert, einem Ort atemberaubender Natur, fruchtbarer kultureller Landschaft, einzigartiger lokaler Tradition und dramatischer regionaler Geschichte. Über das Hier hinaus auf dem Weg zu einem Dort, eine raumzeitliche Fantasie von Miteinander und Beständigkeit. Die Künstler fordern die Stabili tät der (lokalen) Tradition und der (regionalen) Identität heraus.
Die Biennale, konzipiert unter dem Titel FROM HERE TO ETERNITY (dt.: "Von hier zur Ewi gkeit"), versucht die Hybridität des Einheimi schen (das Gewöhnliche, das Alltägliche, das Häusliche, das Heimatliche) auf seinem Weg in ein expandiertes Feld zu kartographieren Phänomene und Themen die zunächst vertraut und zahm waren, verändern ihre Bedeutung und entfalten ihre Komplexität, jenseits von spezifi schen Zuschreibungen oder sozialen, geopoli tischen, historischen und kulturellen Musterm "Vernacular" (dt: vernakulär, einheimisch), oft mit einer gewissen Zeitlosigkeit assoziiert und emotional mit der Idee von Ort und Zuhause verbunden, kommt eigentlich aus dem Lateini schen "verna", das die Kinder von Sklaven be schrieb, die in den Haushalt eines Herren hinein geboren wurden, im Gegensatz zu angekauften. Allgemeiner beschreibt der Begriff die natürlic he Zugehörigkeit von Dingen in der häuslichen Sphäre im Gegensatz zu öffentlichen Belan gen - der respublica. Später beschreib der Au sdruck "vemakulär" eine Spannung zwischen der geschlossenen häuslichen Sphäre und der öffentlichen. "Vernakulär" bezog sich auf das Endemischeund beschreibt Charakteristika ei ner spezifischen Region, ethnischen Qualitäten, ebenso wie Sprachen oder auch Krankheiten, die sich auf eine gewissen Region beschränkten. Das Verb "tovermacularize" war gleichbedeu tend mit "sich anzupassen" oder "sich zuhause zu fühlen".
Die Künstler der 5. Biennale Gherdeina beja hen einerseits die lokalen Eigenheiten, dekon struieren aber andererseits aktiv das Vokabular des Einheimischen, indem sie die notwendige Verschiebung seines Selbstverständnisses regi strieren und mit kritischer Distanz und entfeti schisierender Intention auf eine neue sozio-po litische und kulturell-aktualisierte Beziehung zwischen dem Ort und dem Ursprung abzielen. Die Ausstellung, die das Einheimische als wer tvolle Quelle in radikaler Transformation sicht (bei der Geschichte, Traditionen, Vermächtnisse in Bewegung gesetzt werden), ist als Konver sation zwischen den verschiedenen künstleris chen Positionen und ihrer Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Materialien, Ökonom ien, formalen Ansätzen und Referenzen konzi piert. Hier stehen die unverzichtbaren Formen von Verbundenheit und Abnabelung als aktive Agenden in der Bildung neuer Identität auf dem Spiel. Hier verbünden sich konzeptuelle Geo metrie, mythologische und historische Rituale, Tradition und Illusion, selbstreflexive Fähigkeit en und materielle/formale Sinnlichkeit mit einer Balance von Materie, Magie der Wahrnehmung, körperlichen und alchemistischen Minimali smus, um einen Weg von Hier zur Ewigkeit zu skizzieren.
FROM HERE TO ETERNITY untersucht die Möglichkeit einer Alchemie in der heutigen Zeit vorgefertigter Ideen und rigider Kanons. Die Zusammenstellung der Werke eröffnet ei nen polyphonen und nicht-generischen Raum, wo Geschichte und Materie kollidieren und im Schwindel von Widerstandskraft und Produkti- vität in Dialog treten; nicht zuletzt wird "Hier" als der fruchtbare Grund entfesselter Kreativität definiert, eine Zone von Potenzial, errichtet für eine abenteuerliche Reise in eine (gewisser- maßen) futuristische, imaginäre Unendlichkeit, ein (womöglich) sicherer und heterotopischer Ort, wo Gedanken ihrem freien Lauf folgen können und über ihre lokalen Grenzen und Beschränkungen hinauswachsen.
FROM HERE TO ETERNITY ist vor allem eine Ausstellung über Sehnsucht und Vertrei- bung. Eine imaginäre Reise. Die Kunstwerke (vor allem Skulpturen aber auch Installationen, Objekte, Zeichnungen, Performances und Videos), die sich so elegant in den Ort einfügen (an öffentlichen Plätzen, in der St. Antonius Kirche und dem Kreis für Kunst und Kultur) wurden größtenteils für die Biennale als Auftragswer ke geschaffen. In mehreren Fällen wurde mit lokalen Holzschnitzern, Kunsthandwerkern und Bildhauerwerkstätten zusammengearbeitet. Jen seits von Utopia in Richtung einer phantasma gorischen Ewigkeit, entfaltet sich die Narrative der Ausstellung auf subtile Weise wie das vorge tragene Gedicht des Heiligen Augustinus, cine Umarmung aller Zeitformen und Schicksale. Hier manifestieren sich das Denken und Han deln, der Gedanke und der Prozess, das vorher, jetzt und nachher in einer Simultaneität aus der die Zukunft besteht, neben einem nostalgischen Festhalten am Hier und einem abstrakten, ver führerischen Dort, dem Unendlichen...
Handgeschnitzt aus einem einzigen Block, strahlen die anonymen Figuren von Stephan Balkenhol Zeitlosigkeit aus. Seine Welt besteht aus archetypischen Antihelden der Repräsent ation; seine Werke sind Abbilder der Conditio Humana in seiner elementarsten Erscheinun gsform. Adrian Paci kehrt das Verständnis von Nach-Hause-Kommen um und transformiert in seinem Werk (kulturelle) Identitäten im Zusam menhang von Ortlosigkeit, während Christian Kosmas Mayer die Rhetorik des Scheiterns adressiert, indem Geschichte als hoffnungslo se Ruine exhumier wird, ein Relikt verzwei felter Protagonisten einer verlassenen Bühne der Post-Geschichte. Katinka Bock bringt ein post-romantisches Sehnsuchtsverlangen zum Ausdruck, auch ein Nach-Hause-Kommen: die archaische, ursprüngliche Rückkehr der Relikte. Szymon Kobylarz artikuliert den utopischen Versuch der Eroberung der Natur. Sein Lob an Handwerk und menschlicher Arbeit, seine GHER Hommage an die Wissenschaften und das Wis sen, sind Zeitzeugen der heutigen Welt: ständig am Abgrund natürlicher und technologischer Desaster. Das poctische und minimalistische Werk Xavier Veilhans zollt Tribut an Geschichte und Natur, an die vergängliche Zeit und des Menschen Versuch sie zu kontrollieren. In sei nen performativen Gesten rekonstruierter Ge schichte, spannt Franz Kapfer einen Bogen über Geographien und soziopolitische Referenzen. Fernando Sánchez Castillo de-mystifiziert die Geschichte und Tradition in einer Maskerade von kollektiver Erinnerung, während Marzia Migliora sich mit der regionalen Geschichte von Spielzeug auseinandersetzt und performa tiv die geopolitische Grenze dramatisiert. Anna Hulačovás Kunst ist eine kritische Revision von Bräuchen und lokalen Traditionen. Ihr Werk stürzt sich ins phantasmagorische und skizziert pre-kulturelle Momente von Identitätsbildung. Michele Bernardi inszeniert poetische Übers etzungen von Sehnsucht und Gedächtnis; seine elementaren Formen und Skelette von Objekten hallen in der Natur wider und versuchen das Flüchtige der Erfahrungen festzuhalten. Nicola Samoris Malereien und Skulpturen zelebrieren die Dominanz der Geschichte (und Religion) über das kollektive Bewusstsein und die Vor stellungskraft der Menschheit. Sein Werk bietet eine faszinierende Reise durch die Labyrinthe eines „vernacularstateof mind".
Adam Budak, Kurator
Nocturnal the river of hours flows
from its course, the eternal tomorrow
Miguel de Unamuno
[1] Borges, Jorge Luis, ‘A History of Eternity’, in Borges, Jorge Luis, The Total Library. Non-Fiction 1922-1986, Penguin Classics, London 2000.
[2] Borges, op. cit. p. 136.
[3] Stewart Susan, On Longing, Duke University Press, Durham NC 1993.[4] Borges, op. cit. p. 136.
[5] Umbach, Maiken and Hüppauf, Bernd (eds), Vernacular Modernism. Heimat, Globalisation and the Built Environment, Stanford University Press, Stanford CA 2005, p. 9.