Biennale
Gherdëina II


Konzept

“Wo Skulptur ist”: Ansichten und Perspektiven zur zeitgenössischen Bildhauerei - In Gröden wurde dank der Einflüsse aus Nordeuropa und Deutschland bis Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhundert über lange Zeit hinweg die Tradition der Bildhauerei, und im Besonderen der Holzschnitzerei gepflegt und überliefert. Es handelte sich um die Herstellung von sakralen Werken, welche Motive, die aus dem Norden überliefert wurden, in sich aufnahmen.

Die besondere geografische Beschaffenheit und die Geschichte der Region haben es ermöglicht, dieses kulturelle Erbe bis heute im Grödental zu erhalten, wobei sich zwei unterschiedliche Richtungen nunmehr deutlich voneinander abgrenzen: Die erste betrifft die Bearbeitung von Holz als angewandte Kunst in den Kategorien Kirchenkunst, Ein-richtungszubehör und Dekoration; die zweite betrifft die künstlerische Tätigkeit der Bildhauer, welche an Kunstschulen und Kunstakademien eine Ausbildung genossen haben und in Kontakt mit den einflussreichsten Meistern auf diesem Gebiet stehen.

Viele Namen haben sich in diesem letzten Jahrzehnt in der Szene der zeitgenössischen Kunst hervorgehoben, von Walter Moroder zu Franz Canins und von Willy Verginer zu Aron Demetz, einem der wichtigsten Interpreten der vorangegangenen Grödner Biennale und der 53. Biennale von Venedig.

Für die diesjährige Veranstaltung wurden fünf ortsansässige Künstler ausgewählt, die aufgrund der Qualität ihrer Arbeit und der Wichtigkeit des Ausstellungsparcours sowohl auf italienischer als auch auf inter-nationaler Ebene bereits Anerkennung gefunden und sich behauptet haben: Arnold Holzknecht, Wilma Kammerer, Philipp Messner, Gerald Moroder und Peter Senoner.

Diese Künstler sind die letzten und jüngsten einer Reihe von Bildhauern, die ohne Unterbrechung in einer schon ein halbes Jahrtausend dauernden historischen Kette in Erscheinung treten. Künstler, die in einer Gemeinschaft mit einer starken und geschützten Identität, wie es die ladinische des Grödnertals ist, geboren und aufgewachsen sind und auch heute noch in ihr leben. Sie stehen zudem in Beziehung zur mitteleuropäischen Kultur Münchens und Wiens, da sie dort studiert oder sich herangebildet haben und berufliche Erfahrungen in Paris, New York oder Tokio gesammelt haben. Künstler, die Statuen oder Skulpturen aus Holz und Stein nach den bildhauerischen Prinzipien des Entwurfs und des Schnitzens bzw. Meißelns herstellen, und gleichzeitig auf dem neuesten Stand sind, was moderne mechanische Techniken und Serienproduktion, beziehungsweise was die Montage von Eisen und die Laserproduktion von Aluminium betrifft. Die Tatsache, dass jeder von ihnen dann ganz unterschiedliche Werkstoffe benutzt hat, trägt zur Vielfältigkeit der Werke bei.

Bei der Grödner Biennale sucht die zeitgenössische Skulptur, die nicht mehr an eine Technik oder an einen traditionellen Werkstoff gebunden ist, nach unglaublich vielen Lösungen, die in der Ausdruckskraft jedes einzelnen Werkstoffs zu finden sind, und eine Vielfalt an ästhetischen, emotionalen und intellektuellen, mit der existenziellen Sphäre des Men-schen im Zusammenhang stehenden Bedeutungen, ins Spiel bringt. Ein Repertoire von Metaphern, Anspielungen und Ritualen charakterisiert die Aktualität der Werke. Dennoch sind die Arbeitsmethoden und das handwerkliche Können für diese Bildhauer grundlegende Fragen, da sie bei der Ausführung den Rauminhalt, das Gewicht und die Technik berücksichtigen, die nicht durch den Einfall, die Erfindung oder die Bühnenwirkung aufgehoben werden. Wie Marco Tonelli sagt, handelt es sich “um Bildhauer, die dieses Werken und seine Theoretisierung in eine Krise gestürzt haben, jedoch ohne von ihnen abzulassen oder sie durch Objekte zu ersetzen (schlimmstenfalls, indem sie sich ihrer bedienen, oder indem sie die Definition von Skulptur und Statue in einem weiten Bogen umschiffen)” . Wenngleich sich die Vorstellung von Skulptur durch die veränderte Beziehung zu den Werkstoffen und zur Technologie gewandelt hat, kann das Werk nicht mehr als außerhalb von Zeit und Raum stehend, verstanden werden, wo der Werkstoff, egal ob alter oder neuer Art, Form und Sicht-barkeit annimmt. Die in der Fußgängerzone von St.Ulrich aufgestellten Kunstwerke gliedern sich harmonisch in ihr Umfeld ein, und stehen in di-rekter Beziehung zur Aussicht aufs Tal. Auf der einen Seite berücksichtigt der Ausstellungsparcour die Natur und die Landschaft als ursprünglichen Hintergrund der Skulptur, auf der anderen Seite zieht er die Architektur und die Konstruktionen als essenzielle Linien, mit denen sie in Beziehung tritt, mit ein. Diesbezüglich würde ich gern an eine bedeutsame Aussage des Bildhauers Antony Gormely über den Zweck und die Bestimmung seiner Arbeit anknüpfen: „Ich will wieder Besitz von dem Gefühl eines imaginären Raums innerhalb des Körpers ergreifen. Ich will, dass ein innerer Druck im Werk ist, der in Beziehung zur Atmosphäre steht, die wir mit unserem Körper durch die Haut des Kunstwerks spüren” .

Eine Erklärung, die verdeutlichen will, dass der bildhauerische Gegenstand Merkmale besitzt, die davon abhängen, wie er in einem Raum oder einem Zusammenhang aufgestellt, und von einem Betrachter ausgelotet wird. In diesem Sinne habe ich im Titel dieser Einführung ausdrücklich die neueste Abhandlung „Quando è scultura“ (Wann ist es Skulptur) zitiert, die ihrer-seits durch eine Äußerung Nelson Goodmans angeregt wird, die für die Definition des Begriffs Kunst benutzt wird. Wenn die Frage und die Her-ausforderung des Buches jene ist, in Anbetracht nicht nur der Substanz, sondern auch der Funktion das Gewicht von „was“ auf „wann es“ Skulptur ist, zu verlegen, möchte ich die Aufmerksamkeit nicht nur in Bezug auf den historischen, den geografischen oder gesellschaftlichen Ursprung einer Schule oder eines Künstlers, sondern auch in Bezug auf die Aufstellung oder die Endbestimmung der Skulptur in beständiger Beziehung zur Aussicht und den Anregungen eines Ortes auf das „wo“ der Skulptur lenken. Der Bildhauer ist ein Eroberer des Raums, ein Erbauer von Zeichen, die in eine direkte Beziehung zur Welt treten müssen, entweder, indem sie sich ihrer Umgebung entgegenstellen, oder sich an ihre Perspektiven anpas-sen und deren dort vorhandene Energien auffangen. Daraus folgt der Wille des Künstlers, die existenziellen und oft in den Verflechtungen des Lebens gefangenen emotionalen Bedeutungen in den spektakulären Körper der Skulptur hineinzuprägen, indem er die Fähigkeit der Skulptur, visuelle Strö-me und Anregungen auszustrahlen, ausnutzt.

von Chiara Canali