Konzept

Das englische Knock on Wood" entspricht unse rem ,,auf Holz klopfen" und hat mit dem Schicksal und mit Beschwörungen zu tun. Die angloamerika nische Kultur ist sicherlich weniger abergläubisch als unsere, wenngleich das Bedürfnis, sich an et was festzuhalten, das Glück bringt, wohl uns allen innewohnt.

Deshalb stehen die Zeichen gut für diese vierte Auflage der Biennale von St. Ulrich in Gröden, die der zeitgenössischen Skulptur gewidmet ist. Ein geladen wurden fünf Künstler: zwei von ihnen - Bruno Walpoth und Willy Verginer - stammen aus St. Ulrich, verfügen jedoch über ein international anerkanntes Profil, drei Künstler kommen aus an deren Orten: Chris Gilmour ist Engländer und lebt in Udine; Sonia Leimer wurde in Meran geboren, arbeitet jedoch in Wien; Velasco schließlich wohnt zwischen Mailand und dem Comer See. Zum ersten Mal in der Geschichte der Biennale wurden die Künstler gebeten, ein öffentliches Skulpturenprojekt zu schaffen, das in der Lage ist, mit dem historischen Zentrum von Sankt Ulrich zu interagieren und das mit den Bewohnern und den Tou risten in einen Dialog tritt, ohne sich aufzudrängen.

Hinsichtlich des Gegenstandes und des Themas waren keinerlei Auflagen oder Ein schränkungen vorgegeben, jedoch musste das Material Holz verwendet werden, auch wenn nicht alle Künstler dafür ausgewiesene Experten sind.

Dies sind die drei Gründe, die dem Projekt ihren poetischen Sinn verleihen. Der erste: Es sollte ein wesentlicher Unterschied zu den zahlreichen Ausstellungen gefunden werden, die es an allen möglichen Orten gibt, um der Idee Ausdruck zu verleihen. dass diese Ausstellung nur und ausschließlich hier im Grödental möglich ist. Das Spezifische der Region und der kulturellen Tradition des Ortes zu suchen ist dabei kein Indiz dafür, sich gegen das Phänomen der Globalisierung stellen zu wollen. Im Gegenteil, es handelt sich vielmehr um den Versuch, jene Wurzeln ausfindig zu machen, die ein verstärktes Interesse hervorrufen im Vergleich zu den unbestimmten Produkten, die man überall vorfinden kann und die sich alle gleichen, egal in welchem Teil der Welt. Aus diesem Blickwinkel betrachtet könnte die Kunst ein wenig von der Strategie der Wein- und Esskultur lernen, einer der wenigen Sektoren, die noch als Zugpferde der italienischen Wirtschaft fungieren, da es viel wahrscheinlicher ist, dass bei uns lokale Spezialitäten und nicht Sushi oder Couscous gesucht werden.

Der zweite Grund: Die Realisierung dieser fünf ehrgeizigen Projekte - wir könnten sie als monumental bezeichnen, wenn dieser Begriff nicht so eine selbstbeweihräu chernde Bedeutung besäße hat Künstler auf der einen Seite, und Werkstätten und kleine Betriebe auf der anderen Seite miteinander in Kontakt gebracht und damit ei nen dynamischen Kreislauf angeregt, der unter anderem auch eine starke wirtschaftli che Bedeutung besitzt. Tatsächlich entsteht die Kunst von heute nicht mehr allein im Inneren eines Ateliers oder einer Werkstatt, sie ruft ganz verschiedene Fertigkeiten auf den Plan, die oftmals sehr sachkundig und hochentwickelt sind, sowohl was das handwerkliche Können als auch den Gebrauch moderner Technologien angeht, die unerlässlich für die Entstehung dessen geworden sind, was das fertige Werk sein wird, nachdem alle Schritte von der Idee über das Projekt bis hin zur eigentlichen Sache" verstanden und umgesetzt wurden. Während diese Denkweise seit jeher in der Kon zeptkunst verwurzelt ist, hielten es vor allem die Minimalisten für angemessen, die Phase der Realisierung anderen zu überlassen, weil die Aufgabe des Künstlers sich im Wesentlichen auf die Projektierung beschränkt; wenn dagegen andere Stile und Spra chen gebraucht werden, wird der Übergang weniger automatisch. Viele Menschen stellen sich den Bildhauer immer noch zurückgezogen in seiner Werkstatt vor, wo er sich mit Werkzeugen und Staub herumschlägt, dabei ist er immer öfter ein Ingenieur, der die Arbeitsabläufe optimiert und einen Mitarbeiterstab organisiert. Es geht nicht darum, eine Arbeitsweise der anderen vorzuziehen, aber man kann sagen, dass die Mischung aus einer starken Projektidee und guten handwerklichen Fähigkeiten die idealen Voraussetzungen sind, um Ausgewogenheit zu erreichen.

Schließlich der dritte Grund: Das Holz ist ein sehr besonderes Material, das - wie auch Keramik oder Glas- eher mit Handwerk assoziert wird als mit Kunst (zu mindest, was die zeitgenössische Kunst betrifft). Holz besitzt keine speziellen hoch technologischen Eigenschaften, sondern fasziniert aufgrund seiner Wärme, was zur gleichen Zeit aber auch seine Grenze bedeuten kann. Dadurch hat das Material gewis sermaßen eine Verbannung von der Hitliste der Ausdrucksformen zeitgenössischer Kunst erdulden müssen, auch wenn in der Geschichte die besten Bildhauer es oftmals mit experimentellen Ambitionen genutzt haben, zumindest bis zu dem Punkt, an dem sich der Geschmack zu Gunsten einer Vintage-Mode gedreht hat, zu Gunsten der überheblichen Rückkehr der Vergangenheit, der Vergöttlichung der Handarbeit, der Entdeckung, dass die Tradition einen zusätzlichen Wert darstellt und nicht etwa eine Begrenzung für das zeitgenössische Werk. Dies gilt nicht nur für die bildende Kunst, sondern selbstverständlich auch für die Musik, die Mode, die Architektur, das Design. Wir sind zu zustimmenden Opfern eines Bedürfnisses nach Vergangenheit geworden, weil die Gegenwart überaus unsicher ist, von der Zukunft ganz zu schweigen.

Was beispielsweise Mode und Design angeht, merkt der Musikkritiker Simon Rey nolds in dem Aufsatz Retromania an, wie der kommerzielle Boom von Vintage Kleidung Hand in Hand ging mit dem Trend, Möbel und andere Gegenstände in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf alt zu trimmen, während die Wohnzeitschrif ten verrückt nach Designklassikern der Jahrhundertmitte waren". In diesem Zusam menhang bringt Holz, eben dank seines unglaublichen Verhältnisses zur Vergangen heit, einen zusätzlichen Wert mit sich, es erzählt Geschichten, es weist den Blick des Betrachters nicht zurück, es regt den Tastsinn und die Wärme an. Immer mehr Künst ler weltweit nutzen Holz für ihre Skulpturen (während es bis vor ein paar Jahren außer Stephan Balkenhol wirklich wenige waren) oder innerhalb ihrer Installationen. Man könnte sogar von einer ,,Holz-Mode" sprechen, wenn der Begriff nicht eine gewisse Doppeldeutigkeit in sich bergen würde.

Fünf Skulpturen, die auf der Grundlage der entsprechenden Projekte der Künstler, die während ihrer Arbeiten häufig nach Gröden gekommen sind, ausgeführt wurden, wer den also im Sommer 2014 die Fußgängerzone im historischen Zentrum von St. Ulrich bevölkern. Wir haben die Künstler interviewt, um sie erzählen zu lassen, wie sie von der Idee für ihre Arbeit bis zur finalen Umsetzung gelangt sind und wie besonders diejenigen, die bislang keine Experten für das Holz sind, sich damit zurechtgefunden haben, mit einem Material konfrontiert zu sein, das ihnen bislang unbekannt war. Sonia Leimer hat drei Schnitztische geschaffen und beschreibt ihre Erfahrung folgen dermaßen: ,,Als ich Werkstätten von Grödner Holzbildhauerinnen und -bildhauern besucht habe, fiel mir auf, dass zwischen den 1970er bis 1990er Jahren einige religiö se Statuen für Südafrika hergestellt wurden. Einer meiner Arbeitstische nimmt Bezug auf diese Kolonialgeschichte. Vor einigen Jahren habe ich einen Waxprint gekauft; diese Stoffart wird in Ghana produziert und erzählt eine lange Geschichte der Migra tion, denn sie stammt ursprünglich aus Indonesien, wurde nach Europa importiert und gelangte während der Christianisierung in einige Regionen Afrikas. Der Dekor des Stoffes wird in ein Stück Holz und auch in die Werkbank geschnitzt und anschlie Bend gefärbt". Auf dem zweiten Tisch befindet sich etwas, das Sonia Schwarzes Loch nennt. Diese Arbeit nimmt auch Bezug auf die Entstehung der Dolomiten vor etwa 250 Millionen Jahren." Thema des letzten Schnitztisches ist schließlich Cross-Fade, Überblendung: „Ich wollte eine Szene aus dem Film Der verlorene Sohn von Luis Trenker verwenden. Es handelt sich dabei um einen ganz besonderen Moment, in dem eine Berglandschaft von der Skyline New Yorks überlagert wird"

Chris Gilmour wurde eingeladen, weil sein eigentliches Arbeitsmaterial Karton, mit dem er Skulpturen von Objekten im 1:1 Maßstab herstellt, eine ganz ähnliche Farbe wie Holz besitzt. Dies ist das erste Mal, das er den Schritt zu einem sehr viel härteren Material gewagt hat, einem Material mit ganz anderen Eigenschaften, weshalb wir viel darüber diskutiert haben, sowohl über das Thema als auch über die formalen. Eigenschaften des fertigen Werkes. Für das finale Projekt, das schließlich umgesetzt werden sollte, hat Chris eine Art Fund von Kisten erdacht, die archäologisches Mate rial enthalten, das irgendeine frühere Entwendung oder Naturkatastrophe überstanden hat. Man erblickt aus den Kisten heraustretend etwas, das an die Ikonografie vom Heiligen Georg mit dem Drachen erinnert, geschaffen von einem unbekannten Bild hauer der Vergangenheit und nun darauf wartend, restauriert und an einen neuen Ort verbracht zu werden.

Auch der eigentlich als Maler ausgebildete Velasco beweist eine bemerkenswerte Fähigkeit in der Bearbeitung von Skulpturen und Installationen. Seine Hunderudel gehören zu denjenigen Bildern in der italienischen Kunst von heute, die den größten Wiedererkennungseffekt besitzen, und zahlreiche seiner Projekte wurden in unvor hersehbaren Kontexten positioniert, wobei sie manchmal für Verwirrung und eine Bedeutungsverschiebung gesorgt haben. So hat Velasco dieses Mal am Eingang der Fußgängerzone von St. Ulrich einen riesigen Heißluftballon aus Holz und Eisen auf gestellt, der zum Abflug bereitzustehen scheint, was jedoch durch sein Gewicht und das Fehlen von Leichtigkeit unmöglich gemacht wird. Aria (Luft, aber auch Aric), dies der Titel der Arbeit, erinnert an die Abenteuergeschichten des Schriftstellers Ju les Verne und an die Gemälde von Paul Delvaux, die ihrerseits von den Romanfigu ren des französischen Autors inspiriert wurden. Die wohl stärkste Beschwörung ist jedoch die des Albatros in dem Gedicht von Charles Baudelaire und der Tragödie, die der Unmöglichkeit des Fluges unterliegt: im Himmel majestätisch und elegant, auf der Erde ungeschickt und behäbig.

Am allermeisten aber überrascht das Projekt von Willy Verginer, wenn man sich das ikonographische Repertoire des Grödner Bildhauers bewusst macht, der ein Spezia list dafür ist. Figuren im Verhältnis zu Gegenständen und zur Landschaft darzustel len. Willy verweigert sich diesmal dem anthropozentrischen Blickwinkel und schafft ein Haus aus Holz, vielleicht eher eine Bude oder Hütte, die von den Wurzeln eines Baums gehalten wird: es ist ein mühsames Gleichgewicht, aber im Grunde bleibt es stabil. Auch dies scheint mir ein Nachdenken über das Schicksal des Künstlers zu sein, über seinen Balanceakt, sich zwischen tausend Schwierigkeiten zu bewegen und dabei auch festzuhalten, einerseits an der Tradition des Tuns, anderseits an der Be ständigkeit, die uns die Erde schenkt - es ist eine wahrhaft poetische, metaphorische und überaus gelungene Arbeit geworden.

Der menschlichen Figur verbunden bleibt dagegen Bruno Walpoth, der zu Beginn des Rundgangs der fünf Skulpturen eine große Büste aus Holz installiert, die in der Mitte geteilt und in ihrem Inneren ausgehöhlt ist. Vielleicht handelt es sich hierbei um die Arbeit, die am schnellsten verständlich ist, wobei die Absichten des Künstlers alles andere als einfach sind. Walpoth ist ein aufmerksamer Beobachter der menschlichen Natur, er tritt in die Psyche seiner Figur ein, die wie ein gigantischer Doppelgänger wirkt, wenn man sie mit unseren Dimensionen vergleicht. Seine Skulptur inszeniert somit eine auf den Kopf gestellte Vision, denn sie, die Skulptur, ist es, die uns vom zentralen Dorfplatz von St. Ulrich aus beobachtet und versucht, unsere Reaktionen und Gedanken zu verstehen, ganz so als wären wir die Gullivers von heute, unermüd liche Kunstreisende.